Briefing
Höhenverstellbarer Gebärhocker
Im Rahmen meiner Bachelorarbeit sollte ein Produkt entwickelt werden, welcher die aufrechte Geburt anatomiegerecht unterstützt. Dabei wurden Kenntnisse der Hebammenkunde als Basis gesetzt, um den Bedürfnissen der Gebärenden gerecht zu werden.
01_Research
Unter einer aufrechten Geburt versteht man eine Geburtsmethode, bei der eine werdende Mutter, während der Wehen und Entbindungsphase, eine aufrechte Haltung einnimmt. Diese wird auch aktive Geburt genannt, da sich die Gebärende aktiv nach ihren Bedürfnissen bewegen und ihre Körperhaltung an den natürlichen Verlauf der Wehen intuitiv anpassen kann (vgl. Mändle, 2015, S. 464).
Die aufrechte Gebärhaltung nutzt die Schwerkraft zur Unterstützung des Geburtsprozesses, verkürzt die Geburtsdauer durch häufigere und regelmäßige Wehen und verringert die Notwendigkeit von Dammschnitten. Zudem fühlen sich Gebärende in dem Geburtsprozess stärker eingebunden und erfahren eine intensivere Bindung zum Neugeborenen.
Langes Sitzen auf einem Gebärhocker kann bei manchen Frauen zu Krampfadern im Schambereich führen, weshalb regelmäßiger Haltungswechsel empfohlen wird.
Mändle, Christine und Sonja Opitz-Kreuter (2015): Das Hebammenbuch. Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe, 6. Aufl., Stuttgart: Schattauer GmbH
Das zu entwickelnde Geburtsmöbelstück soll sich primär an Frauen im gebärfähigen Alter richten, unabhängig von Bildungsgrad, Körpergröße oder -form, mit Fokus auf Komfort, Unterstützung und Erschwinglichkeit, um allen sozialen Schichten Zugang zu ermöglichen.
Sekundäre Zielgruppe sind Hebammen, Kliniken und Geburtshäuser, die als Käufer auf Aspekte wie Haltbarkeit, Reinigungsfreundlichkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis Wert legen.
Das Design soll jedoch primär auf die Bedürfnisse der Gebärenden ausgerichtet und anschließend an die Werte der sekundären Zielgruppe angepasst werden.
In einer eigenen Marktuntersuchung habe ich zehn sich auf den Markt befindende Gebärhocker näher betrachtet. Ein tabellarischer Vergleich ergab, dass eine Sitzhöhenvariation von 21 cm bis 41 cm angeboten wird. Die Durchschnittsmaße eines Gebärhockersitzes betragen 49,7 cm in der Breite, 46,6 cm in der Tiefe und 35 cm in der Höhe.
Die Hälfte der Produkte setzt Holz als Fertigungsmaterial ein und vier von zehn weisen einen gepolsterten Sitz auf oder besitzen einen Sitz aus Kunststoff. Nur ein Produkt experimentiert mit der Nutzung von Acrylglas. Vier von zehn sind für den Transport zerlegbar.
Geburtshaltungen
Der Geburtsprozess lässt sich in drei Phasen unterteilen: die Eröffnungsphase, die Geburtsphase und die Nachgeburtsperiode (vgl. Mändle, 2015, S. 415). Je nach Phase verspürt die Gebärende andere körperliche Bedürfnisse. Während der gesamten Eröffnungsphase ist die Schwangere unruhig und bewegt sich viel, um eine ihr möglichst angenehme Haltung zu finden. Dabei wird sehr häufig zwischen Bewegen und Ausruhen gewechselt. Die frühe Geburtsphase beginnt mit dem Eintreten des Kindes in den Beckeneingang. Die letzten Wehen dieser Phase bezeichnet man die Pressphase. Dabei verspürt die Gebärende einen spontanen Druck. Hier wird intuitiv meist die Hocke oder das Sitzen bevorzugt, da das Becken so am weitesten geöffnet wird. Beim Hocken sollte es oben, vorne oder seitlich eine Möglichkeit zum Festhalten geben. Es kann sein, dass manche Frauen in dieser Phase das Stehen bevorzugen. Dabei sollte ebenso eine Möglichkeit zum Festhalten gegeben sein. In der Nachgeburtsperiode wird im Hocken auf die Geburt der Plazenta gewartet.
Mändle, Christine und Sonja Opitz-Kreuter (2015): Das Hebammenbuch. Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe, 6. Aufl., Stuttgart: Schattauer GmbH








02_Brainstorming
Der Gebärhocker sollte flexibel auf verschiedene Nutzerinnen angepasst werden. Eine Sitzhöhe von 21 bis 41 cm deckt den Durchschnitt ab, doch um alle Personen zu berücksichtigen, soll der Hocker unter 21 cm und über 41 cm erweiterbar sein. Der Hocker sollte modular gestaltet werden, sodass Elemente leicht ausgetauscht und individuell angepasst werden können.
03_Konzept
Das final ausgewählte Konzept stellt ein System aus zwei Sitzelementen dar, welche anhand eines Verbindungsträgers stufenlos in der Höhe verschoben werden können. Die Elemente sind austauschbar, sodass freie Individualisierbarkeit und modulare Erweiterungen angeboten werden können. Das Produkt bietet zwei unterschiedlich geformte Sitzflächen an, wobei der obere Sitz auch als Stützfläche und Ablage für Arme, Kopf und Oberkörper dient.
04_Designprozess
Das Trägerelement
Das Prinzip der stufenlosen Höhenverstellung ist bereits von Staffeleien, Duschköpfen und Fahrradsatteln bekannt und wird hier auf das Trägerelement übertragen. Das ausgefräste Langloch dient sowohl als optisches Gestaltungselement, wie auch als technisches Funktionsmittel. Es ist ein Höhenbereich von 15 cm bis 55 cm vom Boden einstellbar. Die Kerbe dient zusätzlich als Kommunikationsmittel. Durch dessen Orientierung und das Schraubelement wird eine intuitive, selbsterklärende Nutzung des Produktes gewährleistet.
Für eine möglichst leichte und schnelle Reinigung aller Flächen wurde die Lücke breit bemessen, sodass ein Reinigungstuch eingefädelt werden kann.
Die Sitzelemente
Die aufrechte Geburtshaltung entspricht der natürlichen Anatomie der Frau und sollte durch die Gestaltung des Sitzes unterstützt werden. Dabei diente das Blatt der weißen Seerose als Inspiration. Sie weist einen charakteristischen Einschnitt auf, der das Blatt beim Wellengang des Wassers vor Einschnitten und Verletzungen schützt. Diese bionische Charakteristik diente als Inspiration in der Formgestaltung. Die breiten, gut gepolsterten Flächen bieten Komfort, wodurch das Risiko eines Vulvaödems verringert werden soll. Der Einschnitt des Sitzes schafft Raum für das Austreten des Kindes und ist so gestaltet, dass kein Druck auf das Steißbein der Gebärenden ausgeübt wird.
Die Sitzfläche ist leicht und flexibel, um sich optimal an verschiedene Körperhaltungen anzupassen. Ziel ist es, natürliche, aufrechte Gebärpositionen zu unterstützen und nicht nur die klassische Hocke. Auch der/die Partner:in soll in die Haltungseinnahme und den Geburtsprozess einbezogen werden.
Das Basiselement
Klassische Gebärhocker weisen drei bis vier Beine vor, die den Sitz stabilisieren. Da hier ein Trägerelement eingesetzt wird, liegt in einem Punkt die Krafteinwirkung, welche durch das Fußelement gleichmäßig verteilt werden muss. Eine Reihe an Iterationen ergab die Form einer flachen U-förmigen Platte, die material- und platzsparende Eigenschaften bietet und die Stolpergefahr für die Gebärende, Hebamme und Partner minimiert.
05_3D-Modellierung und Rendering
Das Modell wurde in Blender konstruiert, um Klarheit über reale Dimensionen und Proportionen zu erhalten. Verschiedene Höhen und Sitzflächen wurden in einem Iterationsprozess entwickelt und schließlich auf eine Form festgelegt.
06_Das Produkt: Lilli
Momentan führe ich eine Umfrage über die Nutzung von Gebärhockern durch, indem Hebammen ihre Erfahrungen und Feedback zur Usability des neuen Gebärhockers schildern können. Diese Erfahrungsberichte sind unentbehrlich für den weiteren Produktentwicklungsprozess.







